Boss an Bord


07/10/2022

Top Secret. Was tun, wenn sich ein Superstar auf dein Schiff verirrt? Keine Angst: Es findet sich immer einer, der die Situation im Griff hat…

Die Story ist so absurd, dass sogar der Münchhausen gesagt hätte: „No, jetz‘ is aber dann amoi gnua!“ Aber genau deshalb ist sie wahr… vielleicht.

Ein Freund meines Freundes Gregor ist ein begnadeter Gitarrist. Der heißt Mike, lebt in Philadelphia, ist ein Vollprofi und gilt in der Rock-Szene als so genannter „Super Sub“. Er ist also ein überaus begehrter „Ersatzspieler“. Mike kann in jeder auch noch so berühmten Band jederzeit einspringen, wenn ein anderer Musiker unpässlich ist. Beim alljährlichen Segeltörn von Gregors Partie heißt Mike noch immer Michi wie früher am Wiener Praterstern, wo er aufgewachsen ist. Damals ist er übrigens auch bei den Austropoppern immer wieder eingesprungen.

Kurz vor dem Männertörn 2009 musste Mike einen kranken Bassisten ersetzen. Und zwar in Spanien. Ausgangshafen des Törns: Zufällig Barcelona. Ein Glücksfall, denn Michi, der zuletzt dreimal abgesagt hatte, stand plötzlich zur Verfügung. Es kam zum folgenden Telefonat:

„Servus Gregor. Ich fahr‘ mit. Und darf ich jemanden mitnehmen?“

„Keine Frau, oder!“

„Naaa, du Idiot! Ich kenn‘ die Spielregeln.“

„Wer ist es dann?“

„Ein Musiker. Sehr nett! Passt total gut zu uns.“

„Von mir aus. Du, ich vertrau‘ dir. Schick‘ mir seine Daten, bitte.“

„Hmmmm…. Muss das sein?“

„Na sicher muss das sein… Crewliste!“

„Es darf aber keiner wissen. Wegen den Verträgen und wegen der Presse. Und vor allem wegen dem Management… weißt eh, wie das ist.“

„Nein, ich weiß überhaupt nicht, wie das ist. Wen zum Kuckuck schleppst du mir da daher? Bruce Springsteen?“

„Äh…“

„Hallo? Michi? Bist du noch dran?“

„Äh…. W… W… Woher weißt du das?“

„Geh bitte! Verarsch‘ wen andern! Und schick mir die Daten. Ahoi mit Eu!“

„Hallo? So, jetzt hat er aufglegt.“

24 Stunden später bekommt Gregor ein Mail mit den Daten eines gewissen Frederick Joseph, geboren 1949 in Long Branch, New Jersey. Und Gregor ist beruhigt: Aha, irgendein anderer Ami. Passt.

Nun aber zur Chronologie der folgenden Ereignisse: Vier Tage nach dem Telefonat, Flug Wien – Barcelona. Taxi zum Supermarkt. Einkaufen für eine Woche. Weiter zum Charter-Stützpunkt in die Olympia-Marina. Um 14 Uhr ist die Città Natale, eine 46er, klar zum Auslaufen. Michi und Debütant Frederick sollen nach ihrem Flug aus Santiago de Compostella um 15 Uhr dazu stoßen.

Um 19 Uhr springt Michi am Pier aus einer Limousine mit dunklen Scheiben: „Sorry, wir haben noch ein Ölzeug und a paar andere Sachen kaufen müssen.“ Jetzt klettert ein Mann mit Kopftuch, Dreitagesbart, Sonnenbrille und einem T-Shirt mit dem Aufdruck „Born in Santiago de Compostella“ aus dem Auto.

„Des is ja… des is ja… bist du deppat… des is ja…“ Paul stammelt ergebnisloses Zeug daher. Klemens ist auch nicht viel konkreter: „Des is ja… I scheiß mi an. Des is ja….“

Skipper Gregor glaubt nach wie vor an die Verarschung des Jahrhunderts, während Erwin wortlos und unterwürfig wie ein Diener aus dem kolonialen Kalkutta die Taschen aufs Schiff trägt.

Nur für das Wiener Original Pepi ist Berührungsangst ein Fremdwort.

„Servas Bruce! Servas means Hi in Austria. I am da Pepi, but you can call me Joe, wenn da Pepi zu complicated is!“ Der Amerikaner grinst, schiebt die Brille zur Nasenspitze und sagt: „Surf us, Dapepi!

Alle anderen erholen sich noch vom Schock. Aber Pepi dreht erst richtig auf: „Du Bruce, our Boss on Board is The Gregor, auch wenn’s zu dir The Boss sagen, you know?“ Und etwas später nach dem ersten Pumperer unter Deck: „Hearst Bruce: Pass auf on your Schädl

in the Niedergang! Sunst vergisst your Text in the next concert.“ Irgendwann finden sich dann alle mit der Sensation ab: Ja, es handelt sich wahrhaftig um Bruce Springsteen.

Michi erzählt, wie es dazu gekommen ist: „Nach dem ersten Spanien-Konzert hab‘ ich mit der Band ein Bier getrunken und von unserer Segel-Partie erzählt. Bruce hat spontan gefragt, ob er mitfahren darf. Begründung: I’m so sick of this crap! Heißt so viel wie: Diese Kacke hier macht mich krank! Davor hat er nämlich einen fürchterlichen Wickel mit dem Management gehabt. Frederick Joseph sind übrigens seine beiden mittleren Vornamen. Aber keine Sorge, Gregor, die anderen Daten für die Crewliste sind korrekt.“

Der Törn nahm offenbar seinen Lauf. Gregor erzählt von einem Tunfischsalat, den der Boss höchst persönlich zubereitet hat. Von der guten Seemannschaft des Weltstars. Und von einer Gitarren-Session mit einer dänischen Crew in einer einsamen Bucht. Ich glaube ihm nach wie vor kein Wort. Doch da Pepi soll die Sprache „Wienglisch“, eine sehr gebräuchliche Melange aus Wienerisch und Englisch [Anm.: Siehe ABRIFT 1 – Satire für Segler; Seite 105 ff.], auf wundersame Weise zur Perfektion gebracht haben. Zum Beispiel bei einem Starkwind-Ritt: „Be careful, Bruce. This wave is really Rock ’n’ Roll! Dagegen is ‚Born in the USA‘ a Kinder birthday!“

Gregor mutierte für mich immer mehr zum Baron Münchhausen. Unter anderem soll Pepi an Bord der Città Natale den Weltstar und den Rest der Crew mit folgenden Satzgebilden beglückt haben: „Bruce, you have Backschaft! So please räum‘ the G’schirr weg!“ Oder:

„Put some sun cream in your face, sunst erkennt die net amoi your eigene Band.

Or they hold you for a Sioux-Indianer.“ Oder: „I know you are a big rock star, but Kurshalten is not yours, or?“ Und dann wieder: „You stand on the Ruada like a boss!“ Springsteen soll angeblich viel mehr verstanden haben als man annehmen würde.

„Manchmal hat er Tränen über Pepi gelacht“, erzählte Gregor.

Bei Landgängen soll sich „The Boss“ immer verhüllt haben. Trotzdem seien ihm einsame Buchten lieber als Städte gewesen. Gar nicht so leicht an der Costa Brava! Nur ein einziges Mal sei Bruce von einem 15jährigen Buben erkannt worden. „Doch der ist fast in Ohnmacht gefallen und war daher bewegungsunfähig“, schildert Gregor… und ich glaub ihm noch immer kein Wort.

Gegen Ende des Törns soll der Rockstar Pepi zu Konzerten nach New York eingeladen haben.

Frei übersetzt: „Pepi, mein Freund, du hast in dieser Woche meine Neuengland-Tournee gerettet. Ich wollte schon absagen. Anfang November bist du im Madison Square Garden und zwar mit den besten Tickets, die es gibt! Wenn du willst gleich zwei Mal. Du fliegst erster Klasse und wohnst zwei Wochen im Four Seasons. Und nimm‘ deine Freundin mit.“ Und Pepi soll geantwortet haben: „I have not a girl friend! But you can give me one of your Tänzerinnen from the Vorgruppe!“

Irgendwann hab‘ ich dann endgültig genug gehabt von Gregors Aufschneiderei.

Und ich hab‘s ihm auch gesagt. Punkt.

Und? Beleidigt war er.

Szenenwechsel. Sechs Jahre später; eine Taverne in Grado. Am Nachbartisch berichtet ein Wiener seiner Crew von einem Superpromi, der mit ihm auf dem Schiff gewesen sein soll. Ich werde hellhörig: „Eigentlich darf ich euch das nicht erzählen“, sagt der Unbekannte. Dann flüstert er einen Namen, den ich nicht höre. Doch ein anderer johlt auf: „Geh bitte: Gebt‘s dem Dodl ka Bier mehr! Der will uns erzählen, dass er mit ’m Springsteen g’segelt is!“

Mich trifft fast der Schlag. Der mutmaßliche Pepi wehrt sich: „Ich schwör ’s euch! Eine Woche von Barcelona weg. Danach war ich zweimal im Madison Square Garden bei ihm im Konzert! Ganz vorn bei der Bühne! Und zwar am 7. und am 8. November 2009 – des Datum vergess‘ i nimmer! Im Four Seasons hab‘ ich g‘wohnt. Vierzehn Tage lang. Auf seine Kosten.“

Ich bekomme einen Schweißausbruch und rufe Professor Google zu Hilfe.

Die Beweislage ist erdrückend:

Fact one: Europa-Tournee im Sommer 2009.

Fact two: Die letzten beiden Konzerte in Spanien am 1. und 2. August.

Fact three: Das zweite davon in Santiago de Compostella.

Fact four: Nach dreiwöchiger Pause Beginn einer Tour durch Neuengland.

Fact five: 7. und 8. November Madison Square Garden.

Ich schreibe Gregor sofort ein WhatsApp:

Gregor,
mein lieber, guter alter Freund: Es tut mir unendlich leid, dass ich dich als Münchhausen bezeichnet habe! Bin fassungslos. Oder wie Pepi sagen würde: „I mean I dream!“

In der Zwischenzeit küsst Pepi seine Sitznachbarin auf den Mund und fragt sie:

„You want some Nachtisch behind the Fish?“ Die exotische junge Frau ist außergewöhnlich hübsch und extrem schlank und sie flötet: „No thanks, my love.“ Pepi streicht ihr übers Haar und sagt: „Lovely, she always looks so very much on her Linie!“

Ich bin übrigens sicher: Sie is a Tänzerin from the Vorgruppe.

ABDRIFT Nr. 46 und 47 – April und Mai 2017

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